Der Westen verliert den Informationskrieg
Pekka Kallioniemi, Tagesspiegel,
Der Westen muss dringend im digitalen Informationskrieg die Initiative ergreifen, schreibt Pekka Kallioniemi. Länder wie Russland und China setzen schon jahrelang Desinformation ein. Sie lügen nicht nur; sie lügen laut, ständig und auf allen Plattformen. Sie stiften Verwirrung, untergraben Vertrauen und vertiefen politische Gräben. Dies geschieht nicht zufällig, sondern durch gut finanzierte Kampagnen, die staatliche Medien, Troll-Farmen, Social Media Influencer und manipulierte Algorithmen koordinieren.
Gleichzeitig haben sie ihr eigenes Informationsumfeld fest im Griff. In Russland werden unabhängige Medien zum Schweigen gebracht, Andersdenkende inhaftiert und das Internet zensiert. In China filtert der Staat alle Online-Diskussionen durch die Große Firewall, verbietet Plattformen wie YouTube und Twitter und überflutet die sozialen Medien mit Propaganda.
Sie kontrollieren, was ihre Bürger sehen, während sie die Offenheit unserer Gesellschaften gegen uns ausnutzen. Es ist ein zutiefst asymmetrischer Kampf, in dem autoritäre Staaten schnell, massiv und straffrei handeln, während Demokratien sich schwer tun zu reagieren.
Die Regime kümmern sich nicht um Pressefreiheit oder die öffentliche Meinung. Sie verfügen über ganze Netzwerke, die ihre Botschaften in Dutzenden von Sprachen rund um die Uhr verbreiten. Sie sind sehr gut darin geworden, Aufmerksamkeit zu erregen. Sie verpacken ihre Propaganda so, dass sie aufregend, rebellisch oder lustig erscheint, selbst wenn die Inhalte völlig falsch sind. Sie erzählen einfache, emotionale Geschichten, die sich wie ein Lauffeuer verbreiten.
Was setzen wir dem entgegen? Trockene Pressemitteilungen von EU-Beamten, lange Berichte und detaillierte Entlarvungsartikel hinter Bezahlschranken. Gute Absichten, die mit dem Flair eines Steuerformulars vorgetragen werden. Zumeist erreichen sie nicht die Menschen, auf die die Desinformation abzielt. Wir sind furchtbar schlecht darin, Menschen für die Wahrheit zu interessieren.
Inzwischen hat sich auch das Informationsschlachtfeld verändert. In Finnland bezieht die Hälfte der Teenager zwischen 13 und 18 Jahren Nachrichten von TikTok. Sogar Nordkorea veröffentlicht jetzt Propaganda auf dieser Plattform.
Wir wissen bereits, wie verheerend ein Informationskrieg sein kann, wenn er unangefochten bleibt. Im Januar 2014 hatten 60% der Russen ein positives Bild von den Ukrainern. Dann startete der Kreml eine Diffamierungskampagne im nationalen Fernsehen und den sozialen Medien. Schon 2015 hatten 60% der Russen ein negatives Bild von den Ukrainern. Wenn jemand das gesamte Informationsökosystem kontrolliert, ist Propaganda erschreckend wirksam.
Gleichzeitig lernte die Ukraine aber, sich zu wehren. Seit 2014 und besonders nach der russischen Invasion 2022 behandeln die Ukrainer Information wie eine Frontlinie. Sie haben Partnerschaften zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und Kreativen aufgebaut, die Humor, Meme, Musik und virale Videos nutzen.
Russland gibt jährlich fast 2 Milliarden Dollar für Propaganda aus. Chinas Medienarbeit ist noch umfangreicher und nebulöser. Die Europäische Union gibt nur einen winzigen Bruchteil davon aus, um die Wahrheit zu verteidigen.
Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um die Grundeinstellung. Wir verteidigen uns indem wir versuchen Lügen zu entlarven, nachdem sie sich verbreitet haben. Das reicht nicht aus; wir müssen der Propaganda zuvorkommen.
Wir brauchen mehr als nur kurzfristige Aktionen. Sowohl Russland als auch China planen ihre Informationsstrategien Jahrzehnte im Voraus; das sollten wir auch tun. Das bedeutet, dass wir modernen Medienschaffenden - Influencern, Podcastern, digitalen Künstlern, Futuristen, Analysten und Visionären - mehr Mittel und Hilfe zukommen lassen müssen. Sie prägen das Denken und Fühlen von Millionen. Wir müssen in die Plattformen, Stimmen und Formate investieren, die die Menschen heute erreichen.
Wir müssen dauerhafte Resistenz aufbauen durch einen Impfstoff gegen Online-Desinformation - Bildung. Die Menschen sollten informiert werden, bevor sich Lügen verbreiten. Dies bedeutet, in den Schulen Medienkompetenz zu lehren, damit junge Menschen Manipulation erkennen können. Wir müssen klare, wahrheitsgemäße und ansprechende Inhalte dort platzieren, wo sie gesehen werden - auf YouTube, TikTok, Instagram.
Wir müssen den Kampf bis vor die Tür des Gegners bringen. Autoritäre Regime haben klare Schwachstellen - Korruption, Unterdrückung und die Lügen der Eliten. Das sind Druckpunkte, auf die wir mit faktischen Botschaften abzielen sollten, um abweichende Meinungen zu stärken, Missbrauch aufzudecken und die autoritäre Kontrolle über die Öffentlichkeit zu untergraben.
Müssen wir warten, bis Russland Drohnen und Truppen über unsere Grenzen schickt, um den Informationskrieg ernst zu nehmen? Wir können uns nicht aussuchen, ob wir uns daran beteiligen. Aber wir können uns dafür entscheiden, nicht mehr zu verlieren.